Wie politisch dürfen NGOs sein?
Dürfen NGOs politisch Stellung beziehen? Was geht in Deutschland, ohne die Gemeinnützigkeit zu gefährden? Und wo sind die Grenzen?
Der vollständige Artikel mit einem Ländervergleich (Österreich & Schweiz) erschien im Fundraising-Magazin (Ausgabe 3/2025) im Mai 2025.
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Wer sich als NGO zu gesellschaftlichen Themen äußert, sieht sich heute schnell Forderungen nach politischer Neutralität und Debatten um Transparenz der Finanzierung ausgesetzt. Das zeigt, wie schmal der Grat zwischen Engagement und politischer Einflussnahme wahrgenommen wird. Dabei ist der rechtliche Rahmen durchaus klar. Doch die Praxis wirft Fragen auf: Wie weit darf politische Kommunikation gehen? Wann droht der Verlust der Gemeinnützigkeit?
Von Rico Stehfest
Es waren 551 provokante Fragen, die Anfang 2025 im gemeinnützigen Sektor für ziemliche Unruhe gesorgt hatten. Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages stellte diese als Kleine Anfrage unter dem Titel „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“. Ein Narrativ, das darauf abzielt, ein negatives Bild des zivilen Sektors zu skizzieren. Man kennt es beispielweise aus Ungarn und den USA. Die damals amtierende Bundesregierung machte in ihrer Antwort jedoch klar, dass gemeinnützige Organisationen sich sehr wohl politisch äußern dürfen, solange sie nicht parteipolitisch agieren und ihre Äußerungen im Rahmen ihrer satzungsgemäßen Zwecke erfolgen. Somit ist rechtlich nichts zu beanstanden – doch die öffentliche Diskussion um politische Neutralität und Meinungsfreiheit im zivilgesellschaftlichen Raum ist neu entfacht.
„Ein Lehrstück in Rechtsstaatlichkeit“
Dabei ist grundsätzliche Neutralität nur dem Staat auferlegt! Dazu hat auch die Maecenata-Stiftung in einem offenen Brief angemerkt: „Politische Äußerungen sind gemeinnützigen Organisationen explizit erlaubt. Der Grundsatz parteipolitischer Neutralität darf nicht als Gebot sachpolitischer Zurückhaltung missverstanden werden.“ So war die Antwort der Bundesregierung, die eine vermeintliche „Schattenstruktur“ durch NGOs widerlegt, ein „Lehrstück in Rechtsstaatlichkeit“, wie es vonseiten der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ hieß. Deren ehemaliger Vorstand Stefan Diefenbach-Trommer formulierte es so: „Alle Parteien müssen erkennen, dass über Rechtsstaatlichkeit zu wachen und bei Verstößen zu mahnen Funktionen der Zivilgesellschaft sind – wie auch ungehörte Themen in die Debatte zu bringen oder konkrete Hilfsdienstleistungen zu erbringen.“
Das erscheint desto wichtiger, als dass der aktuelle Civicus-Monitor den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft in Deutschland bereits als „beeinträchtigt“ eingestuft hat. Noch enger darf es nicht werden. Neben der nötigen Rechtssicherheit braucht es dafür auch Selbstbewusstsein und ein grundlegendes Selbstverständnis des Dritten Sektors.
So will es das Gesetz
Dafür ist ein gründlicher Blick in die Abgabenordnung nötig, der die Gemeinnützigkeit in Deutschland regelt. In deren Anwendungserlass heißt es: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient (…).“
Vereinfacht ausgedrückt: Die in der Satzung festgehaltenen Zwecke der NGO sind getrennt zu betrachten von eventueller politischer Äußerung. Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung zur Verfolgung dieser (gemeinnützigen) Zwecke ist zulässig. Dem widerspricht auch nicht, dass das „im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen politischen Zielsetzung verbunden ist“. Soll heißen: Eine NGO darf nicht dazu aufrufen, die Partei X zu wählen, aber sehr wohl zu einem Stopp des Kohleabbaus mit dem Ziel des Klimaschutzes.
Checkliste: Gemeinnützigkeit in Deutschland – Was geht, was geht nicht?
Zulässig ist …
- ✅ Politische Bildung: NGOs dürfen über politische Themen informieren, Missstände aufzeigen und zur Meinungsbildung beitragen.
- ✅ Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse: Petitionen, offene Briefe, Stellungnahmen etc. sind erlaubt.
- ✅ Demonstrationen und Kampagnen: Auch öffentlichkeitswirksame Aktionen sind erlaubt, solange sie sachlich sind und dem gemeinnützigen Zweck dienen, also:
- ✅ Proteste gegen Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus sind okay – auch wenn z. B. Positionen der AfD damit gemeint sind.
- ✅ Kampagnen zu Sachthemen wie Gleichstellung, Demokratie etc. sind zulässig, auch wenn sie sich faktisch gegen Positionen einer bestimmten Partei richten.
- ✅ NGOs dürfen also sachlich Position beziehen, z. B. gegen menschenfeindliche Aussagen oder für den Schutz von Minderheiten – solange sie das an Themen und nicht an Parteien aufhängen.
Nicht zulässig ist …
- ❌ Parteipolitische Unterstützung: Eine NGO darf keine Partei oder einzelne Politiker direkt unterstützen oder bekämpfen.
- ❌ Direkte Aufrufe wie „Wählt nicht die AfD“ oder „Stoppt Partei X“ sind nicht zulässig.
- ❌ Plakate oder Social Media Posts, in denen explizit zu Wahlboykott oder Ablehnung einer bestimmten Partei aufgerufen wird, sowie Aktionen mit klar erkennbarem Ziel, eine Partei als Ganzes zu delegitimieren, gelten als parteipolitische Einflussnahme und sind nicht erlaubt.
- ❌ Ausschließlich politische Zwecke sind nicht gemeinnützig. Gemeinnützigkeit setzt voraus, dass der Hauptzweck nicht „politisch“ im engeren Sinne ist, sondern etwa Menschenrechte, Bildung etc. beinhaltet.
Wo lässt sich das nachlesen? Das ergibt sich aus § 52 AO (Abgabenordnung) und deren Anwendungserlass, der die Gemeinnützigkeit in Deutschland regelt.
Prinzip der Verhältnismäßigkeit
Das genaue Thema spielt mit Blick auf die Zwecke einer NGO dabei keine Rolle. Wichtig ist hingegen, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Die Stellungnahme zu tagespolitischen Themen sollte demzufolge vereinzelt stattfinden und nicht umfassend zu allgemeinpolitischen Themen. Das Eintreten für eine Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist, als Beispiel, demzufolge nicht zulässig. Die Krux daran ist, dass die Grenzen fließend sind oder so wahrgenommen werden können. Das hat bekanntlich 2014 für Attac zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit geführt. Deren politisches Engagement ging dem Bundesfinanzhof zu weit und entsprach nach dessen Sicht nicht mehr gemeinnützigen Zwecken. Bis heute kauen die Akteure von Attac daran. 2021 haben sie eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Verfahren läuft noch immer. Eine Vielzahl an NGOs haben sich mit Attac solidarisiert. Die meisten von ihnen plädieren auf eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts.
Der vollständige Artikel mit einem Ländervergleich (Österreich & Schweiz) erschien im Fundraising-Magazin (Ausgabe 3/2025) im Mai 2025.
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Viel Wissenswertes zum Thema:
www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Die DSEE erklärt die Rechtsgrundlagen in einem Webinar (Aufzeichnung) unter:
www.youtube.com/watch?v=9VGwUNr9m7c
Die 551 Fragen und die Antwort der Bundesregierung sind nachzulesen unter:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/150/2015035.pdf (Kleine Anfrage) sowie
https://dserver.bundestag.de/btd/20/151/2015101.pdf (Antwort)
Foto: Grebner Fotografie / AdobeStock
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