Lucero Oyarzun: "Junge Leute setzen auf Authentizität!"

Lucero Oyarzun, Koordinatorin für digitale Kampagnen bei ICAN
Lucero Oyarzun, Koordinatorin für digitale Kampagnen bei ICAN

Darum geht’s: Millenials, Motivation, Spenden, Verbot von Atomwaffen

Lucero Oyarzun ist die Koordinatorin für digitale Kampagnen der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN – International Campaign to Abolish Nuclear Weapons), der Kampagne, die 2017 den Friedensnobelpreis für ihre Rolle bei der Aushandlung des UN-Abkommens zum Verbot von Atomwaffen erhielt. In unserem Interview mit unserem Autor Rico Stehfest verrät sie, wie man gerade auch junge Leute für politische Kampagnen erreichen kann und welche Chancen auf eine Welt frei von nuklearen Waffen bestehen.

Sie sind am 5. April beim Campaigning Summit Switzerland in Zürich und berichten darüber, wie man die Millenials, also die jüngere Generation, als Zielgruppe erreichen kann. Wie grenzen Sie diese hinsichtlich ihres Alters ein?

Die Grenzen bei solchen Diskussionen sind ja immer verschwommen. Ich persönlich sehe Millenials in der Altersspanne von 22 oder 23 bis etwa 38. Die Generation Z liegt also bei 22 und jünger. Aber um ehrlich zu sein, hinsichtlich unserer Arbeit sehen wir, dass wir eher 18-35-Jährige erreichen. Und da es doch noch mal ein deutlicher Mehraufwand ist, Menschen unter 18 zu erreichen, bleiben wir auch innerhalb dieser Klammer. Trotz dessen ist unsere Kampagnenarbeit natürlich vielfältig. Wir fokussieren uns nicht auf eine Zielgruppe, um am Ende alle anderen auszuschließen.

Betrachtet man die Gesamtheit des Spendenmarktes, sind Fundraiser in der Regel der Meinung, „jüngere“ Spender würden praktisch nicht existieren, sodass es also als äußerst schwierig gilt, „jüngere“ Spendern zu erreichen und sie für eine Spende zu gewinnen. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Organisation gemacht?

Ich sehe es gar nicht so, dass jüngere Menschen schwer zu erreichen sind. Sie bewegen sich einfach auf anderen Kanälen. Unsere Spender-Basis ist zwar ziemlich breit gefächert, aber wir haben definitiv einige jüngere Spender unter ihnen. Das Alter spielt bei der Spenderansprache für uns keine primäre Rolle, aber wir merken, dass die jüngeren Spender äußerst lautstark bezüglich ihrer eigenen Spende in den sozialen Medien unterwegs sind. Wir beobachten beispielsweise schon eine Weile, dass junge Leute in den USA sehr an politischen Spenden interessiert sind. Sie folgen damit nicht den gleichen Regeln wie einige ältere Spender. Spendenabsetzbarkeit ist für sie beispielsweise genauso kein Punkt von Interesse wie der Status der Gemeinnützigkeit. Was ihnen wichtig ist sind Authentizität und Transparenz.

Wie aber erreichen Sie diese Spendergruppe?

Wir legen Wert darauf, sie dort zu treffen, wo sie sind, ohne uns aber als Organisation zu sehr zu verbiegen. Deshalb sind wir beispielsweise nicht bei Snapchat aktiv. Wir begeben uns direkt in den Dialog, sodass die Spendenbitte Teil der „journey“ mit ICAN ist. Wir erzählen Ihnen Geschichten, die sich um Menschen drehen: von Menschen, die die Auswirkungen nuklearer Waffen erleben mussten und von denen, die hinter dieser Kampagne stecken. Wir bemühen uns darum, auf unseren Kommunikationskanälen deutlich zu machen, dass uns bereits eine Menge junger Leute unterstützen und dass junge Leute hier eine ganz große Rolle spielen können. Dieses Jahr wollen wir mit mehr Merchandise experimentieren, um zu sehen, ob das ein erster Türöffner sein kann, um mehr finanzielle Spenden zu erhalten.

Im Grunde genommen betreibt ICAN doch aber politisches Campaigning. Wie kann das für Fundraising eingesetzt werden?

ICAN ist eine Kampagne für Menschenrechte, die alle Regierungen dazu aufruft, sich an die Internationalen Menschenrechtsgesetze zu halten. Das tun wir, indem wir den Leuten zeigen, dass die Menschheit der größten und absurdesten Bedrohung ausgesetzt ist und wie wir einen Weg aus diesem Schlamassel finden können. Es ist die Wahrheit, dass wir keine humanitäre Hilfe anbieten, aber wir verdeutlichen, wie unsere Arbeit die Welt zum Besseren verändert und sorgen dafür, dass die schreckliche humanitäre Katastrophe eines nuklearen Angriffs niemals eintreten wird. Wir sagen den Leuten ganz klar, dass es da draußen eine Lösung gibt und Leute, die daran arbeiten: die Vereinbarung der UN zum Verbot Nuklearer Waffen. Wir zeigen unseren Unterstützern direkte Möglichkeiten auf, wie sie aktiv werden können, um die Vereinbarung zu unterstützen und bitten darum, die zu unterstützen, die daran arbeiten. Wir versuchen, transparent zu machen, was unsere Arbeit beinhaltet: die Meetings, die Druck- und Reisekosten, aber eben nicht auf eine langweilige Art. Stattdessen versuchen wir, die Geschichten unserer Campaigner zu erzählen und vom Impact zu berichten, den sie schaffen. Dabei reden wir auch über unsere kurzfristigen und langfristigen Ziele. Wenn man den Leuten sagt, dass es eine realistische Chance gibt, dass nukleare Waffen nach internationalem Gesetz noch in diesem Jahr illegal werden könnten, dass wir dafür aber ein bisschen extra Arbeit stemmen müssen, um den Schwung zu nutzen, sind viele überrascht zu sehen, wie viele Leute aufhorchen und etwas beisteuern.

Wie genau finanzieren Sie Ihre Kampagnenarbeit?

Das ist eine Mischung. Wir bekommen auf jeden Fall einen großen Teil unserer finanziellen Unterstützung über eine Vielzahl an Fördergeldern, als auch von einigen unglaublich großzügigen Einzelspendern. Das ganze versuchen wir auch, mit Online-Spenden aufzustocken. Dabei muss man immer bedenken, dass ICAN eine globale Vereinigung mit Hunderten von Organisationen bildet, die alle aktiv sind. Die betreiben genau so Fundraising für ihre Arbeit auf lokaler Ebene und setzen ihre eigenen Ressourcen ein.

Welche Veränderungen hat die Verleihung des Friedensnobelpreises für Ihre Arbeit bewirkt?

Es gab im Grunde genommen 2017 zwei unglaublich wichtige Ereignisse, die Annahme der Vereinbarung zum Verbot Nuklearer Waffen von seitens der UN und die Anerkennung dieses Erfolges durch den Nobel-Preis. Diese beiden Ereignisse haben uns zu größerer Anerkennung und Medienaufmerksamkeit verholfen, uns aber auch mehr in den Fokus von Angriffen gesetzt. Der Nobel-Preis öffnet sicherlich eine Menge Türen, aber die Länder, die sich weigern, vom nuklearen Terror Abstand zu nehmen, haben ihre Bemühungen verschärft, unsere Arbeit zu stoppen und unsere Finanzierung zu drosseln. Das Aufregende daran ist, dass aufgrund dessen die Basis unserer Unterstützer immer weiter wächst und dass immer mehr Leute dazu beitragen, uns unserer Herausforderung zu stellen. Der Nobel-Preis war eine wunderbare Anerkennung der Arbeit von ICAN und hat uns neue Möglichkeiten für unsere Lobbyarbeit und unser Fundraising eröffnet. Dieser Aufschwung hat sich ganz klar direkt ausgezahlt, aber das war auch eine bedeutsame Bestätigung für alle, die uns durch all die mageren Jahre hindurch zur Seite gestanden haben. Unser Campaigner sind daraus gestärkt hervorgegangen und können ihrer Arbeit weiter mit neuem Schwung nachgehen. Wir wissen, dass es noch jede Menge zu tun gibt, aber wir sind bereit, die Sache anzugehen, und der Nobel-Preis ist für uns wie ein zusätzliches Gütesiegel für unsere Arbeit.

Aus zentraleuropäischer Perspektive heraus hätte man ja fast meinen können, das Thema der Nuklearen Waffen wäre längst geklärt gewesen. Zumindest fand keine großartige öffentliche Debatte mehr statt. Wie sieht Ihre Organisation jetzt die aktuellen Entwicklungen? Schließlich sind die USA und Russland gerade aus dem INF-Vertrag ausgetreten.

Wir sind definitiv sehr beunruhigt, wie die USA und Russland derart entscheidende Abkommen mal eben einfach so zerreißen und jetzt Schritte unternehmen, ihr Waffenarsenal zu modernisieren. Deshalb ist es wichtiger denn je, nukleare Abschreckung abzulehnen – eine militärische Doktrin, die für nukleare Waffen einsteht, die nur regionale Instabilität verursachen und einen selbst zum Ziel nuklearer Angriffe macht. Die stärksten Schritte, die andere Staaten machen können, besonders die zentraleuropäischen Länder, ist die Verweigerung, sich in eine neues nukleares Wettrüsten verwickeln zu lassen und jeglichen Einsatz nuklearer Waffen für die eigene nationale Sicherheit abzulehnen. Österreich hat beispielsweise bereits den Schritt getan und hat die Vereinbarung zum Verbot nuklearer Waffen unterzeichnet. Das Schweizer Parlament hat auch die Regierung dazu aufgerufen, das ohne weitere Verzögerung zu tun. Diese Schritte sind nicht nur wichtige Signale für all jene Staaten, die nukleare Waffen ihr eigen nennen. Das trägt vielmehr zur Schaffung eines neuen Sicherheitsrahmens für ein Europa bei, das eben nicht von veralteter, schwerfälliger und vor allem gefährlicher Technik aus einer vergangenen Ära abhängig ist.

Interview und Übersetzung: Rico Stehfest
Foto: ICAN, Igor Khromov

Das Interview ist gekürzt auch im Newsletter ngo-dialog der Fundraising Akademie erschienen.

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