Kleines Land - große Ideen
Crowdfunding in Österreich: Zwischen Finanzmarktaufsicht und kreativer Szene
Der „Kreditfall Staudinger“ sorgte vor einigen Jahren in Österreich für viel Aufmerksamkeit. Der Waldviertler Schuhfabrikant Heini Staudinger lieh sich von Freunden und Kunden Geld für die Weiterentwicklung seiner Firma und geriet deswegen mit der Finanzmarktaufsicht aufgrund fehlender Banklizenzen in Konflikt. Seitdem hat sich auch in der Alpenrepublik eine lebendige Crowdfunding-Szene entwickelt, die sich aktiv für diese moderne Form der Projektfinanzierung einsetzt.
Von Wolfgang Gumpelmaier
In Amerika existiert Crowdfunding über eigens dafür entwickelte Web-Plattformen bereits seit über zehn Jahren. In Österreich machte 2010 die Plattform „Respekt.net“ den Anfang und launchte ein Portal für zivilgesellschaftliche Projekte auf Spendenbasis. Über 772 000 Euro konnten seither für Projekte mit Themen wie Bildung, Bürgerrechte, soziales Engagement, Umweltschutz und anderes eingesammelt werden. Eine Besonderheit: Man kann diese Projekte auch mit Wissen oder Zeit unterstützen. Seit Ende 2014 erstrahlt „Respekt.net“ im zeitgemäßen Design und soll somit noch mehr Menschen dazu verleiten, die Welt zu verbessern.
Crowdinvesting geht voran
Zwei Jahre nach „Respekt.net“ ging mit „1000 x 1000.at“ die erste equity-based Crowdfunding-Plattform Österreichs online. Dahinter steckt das ISN – Innovation Service Network, eine steirische Innovationsschmiede, deren Mitgründer Reinhard Willfort die Investing-Plattform als Erweiterung zu seiner Crowdsourcing-Plattform „Neurovation.at“ sieht. Dort werden Ideen zuerst vorgestellt und bewertet, anschließend entwickelt die Crowd gemeinsam mit dem Ideengeber ein tragfähiges Geschäftsmodell, in das man dann später auf „1000 x 1000“ investieren kann. Es ist jedoch auch möglich, sich ohne den Umweg des Ideensourcings die Plattform für die Suche nach Finanziers zu nutzen. Dieser Bereich des Crowdinvesting hat sich seitdem sehr dynamisch entwickelt. Anfang 2013 starteten mit „Conda.at“ und „Greenrocket.com“ weitere Anbieter. Während sich die Investoren bei den drei genannten Plattformen via Substanzgenussrechte an den Unternehmen beteiligen, bieten die beiden 2014 gelaunchten Plattformen „dasErtragReich.at“ und „Crowdcapital.at“ ihren Kunden andere Beteiligungsformen an. So werden bei „dasErtragReich“ den Unternehmen mittels qualifizierten Nachrangdarlehen quasi Kleinkredite vermittelt, „Crowdcapital“ lockt mit echten stillen Beteiligungen. In puncto Beteiligungsformen wird in Österreich beim Crowdinvesting viel experimentiert. Denn durch den Fall Heini Staudinger versuchen die Plattformen, ihre Modelle in Abstimmung mit der Finanzmarktaufsicht für alle Beteiligten möglichst attraktiv zu gestalten, fordern aber von der Politik deutlich mehr Spielraum.
Austria-Plattform fehlt
Solche Probleme hat die österreichische Kreativszene nicht. Hier mangelt es eher an nationalen Plattformen, die sich um die Infrastruktur für reward-based Crowdfunding kümmern. Bis dato mussten Projekte aus Österreich nämlich auf ausländische Plattformen wie „Startnext.de“, „Indiegogo.com“ oder „Kickstarter.com“ ausweichen. Grundsätzlich kein Problem, wie einige Projekte bewiesen, aber eine Betreuung vor Ort sei schon wünschenswert. Mit „Sideinvest.at“ soll sich das nun ändern. Hier können Erfinder, Designer, Forscher, Künstler und andere ihre Projekte vorstellen und von der Crowd finanzieren lassen. Auch die Schweizer Plattform „Wemakeit.ch“ startete Anfang 2015 mit einer Österreich-Niederlassung und möchte die hiesige Kreativszene bei der Realisierung ihrer Projekte unterstützen.
Kreative Projekte
Gerade in diesem Bereich zeigt sich, wie vielfältig und innovativ die Projekte auch aus einem kleinen Land wie Österreich sein können. Der Autor TG etwa schreibt seit vier Jahren an seinem Roman „Zwirbler“ – auf Facebook. Dieser soll nun auch als Buch und auf Toilettenpapier erscheinen. Die Crowd macht es möglich: Mehr als 15 000 Euro sammelte der Autor innerhalb weniger Wochen. Aber es geht auch ernsthafter. Für die Anschaffung einer Photovoltaik-Anlage für eine Fair-Trade-Schneiderei in Nepal sammelte das Modelabel Fairytale Fashion unter dem Projektnamen „SOLiPOWER“ via Crowdfunding über 18 000 Euro von Freunden, Kunden und Fans ein und bringt somit seit Anfang 2015 nicht nur faire, sondern auch ökologisch nachhaltige Arbeitsbedingungen nach Kathmandu.
Auf der Plattform „StarteDeinProjekt.at“, die eine Mischform aus reward- und donation-based Crowdfunding anbietet, können Jugendliche für ihre Schulprojekte Geld sammeln. Das Projekt „get2gether“ beispielsweise finanziert auf diese Weise Vernetzungs-Workshops für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit österreichischen Jugendlichen.
Dass sich Crowdfunding in Österreich erst langsam etabliert, scheint Fakt zu sein. Eine aktuelle Umfrage mit dem Titel „Welches Potenzial hat Crowdfunding in Österreich?“ auf „Neurovation.at“ soll deshalb zeigen, wie viel Luft nach oben es in Österreich für diese Form der Finanzierung noch gibt.
Wolfgang Gumpelmaier begleitet seit fünf Jahren Crowdfunder bei der Planung ihrer Kampagnen und beschäftigt sich am Institut für Kommunikation in Sozialen Medien mit dem Thema. Er ist Mitglied im German Crowdfunding Network, Herausgeber des Crowdfunding-Newsletters und Moderator des zweiwöchentlichen Crowdfunding-Talks auf www.ununi.tv. Zudem bietet er in der Tabakfabrik Linz eine monatliche Crowdfunding-Sprechstunde für Kreative an.