Nachwuchs Menschenkenner Fabian F. Fröhlich erinnert sich

In unserer Fragenbogenrubrik auf Seite 80 heißt es: „Sie machen eine Zeitreise ins Jahr 1990. Was würden Sie da tun?“ Nun, mein Kumpel und ich fuhren damals zum ersten Mal nach Westberlin, die 100 DM Begrüßungsgeld abholen und uns die Freiheit angucken. Am Grenzübergangsbahnhof Friedrichstraße war es proppenvoll – Menschenmassen wie zur Mai-Demo! Kurzerhand nahmen wir die nächstbeste U-Bahn, sie brachte uns an den noblen Stadtrand. Dort mussten wir an der Deutschen Bank nicht anstehen, bekamen in Nullkommanix unseren Stempel in den Personalausweis und das begehrte Westgeld.

Neben der Bank ein Aldi, Hunger und die Neugierde waren groß. Wir bestaunten die Westwaren und kauften uns Joghurt. Irgendwas Exotisches: Maracuja oder so. Vor dem Markt falteten wir die Joghurtdeckel kurzerhand zum Löffel-Ersatz und verschlangen damit die süße Speise … köstlich! Da kamen zwei ältere Damen vorbei. Sagt die eine zur anderen: „Die Armen, die haben nicht mal Besteck im Osten!“ So schnell entstehen Vorurteile.

Die Welt ist voll davon: Schwaben sind geizig, Polen klauen und Ostfriesen pinkeln gegen den Wind. Beamte schlafen im Büro. Blondinen können keine Fremdwörter. Lehrers Kinder und Pfarrers Vieh gedeihen selten oder nie. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Fernsehen macht dumm. Studenten sind Langschläfer. Bauern sind Single. Wer Kevin oder Mandy heißt, macht nie Karriere. Friseure sind schwul. Computerspiele verderben den Charakter. Und Journalisten lügen.

Als meine kleine Schwester 1990 von ihrer ersten West-Reise zurück kam, schwärmte sie: „Es war soo toll drüben, soo bunt und soo aufregend – aber die haben dort gar kein Besteck!“ Tja, man war bei Mc Donald’s eingekehrt …
Sehr zuverlässig funktionieren auch 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die Ossi-Wessi-Ressentiments.

Kürzlich kam die Bundeskanzlerin ins sächsische Heidenau. Es ging um eine Flüchtlingsunterkunft in einem Pleite gegangenen Baumarkt. Merkel im Markt, draußen die Presse, es vergeht eine Stunde, nichts geschieht. Doch da! Liegt es auf dem Weg! Ein einsames Ei! Irgendwem wird es aus der Einkaufstasche gefallen sein. Der Pressefotograf einer überregionalen Wochenzeitung zoomt ganz nah ran: Das ist die politische Stimmung im Osten!

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