Auf neutralem Boden: Fußballfans und Polizei

Monatlicher Zugang von AsylbewerberInnen in BW

Es gibt nur wenige Konstellationen, die mehr Konfliktpotenzial haben. In manchen Städten finden wöchentlich regelrechte Straßenschlachten abseits des Stadions statt. Um den Dialog zwischen Fans und Polizisten zu gestalten, hat die Daniel-Nivel-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) eine „Zukunftswerkstatt“ gestartet.

 

Von Ute Nitzsche

„Wir haben noch niemals so einen Hass gegen die Polizei gehabt wie heute. Während früher noch Gespräche möglich waren, ist das heute nicht mehr möglich“, sagt ein Mitglied eines Fanprojekts. Ein Einsatzleiter der Polizei hält dagegen: „Mit denen kann man doch gar nicht reden“, so seine Meinung zu den besonders leidenschaftlichen Fans, auch „Ultras“ genannt. Anspannung, Vorurteile und verhärtete Fronten auf beiden Seiten, es dominieren gegenseitige Feindbilder, die dazu beitragen, die eigene Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu untermauern. Das schafft zwar einerseits Solidarität, andererseits aber auch die Grundlage für Gewalt.

Was entfesselte Wut und Brutalität von Fußballfans anrichten kann, hat Daniel Nivel im wahrsten Sinn des Wortes am eigenen Leib erfahren müssen. Bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich wurde der Gendarm am Rande des Fußballspiels zwischen Deutschland und Jugoslawien von vier deutschen Hooligans zusammengeschlagen und so schwer misshandelt, dass er wochenlang im Koma lag. Seitdem kann der zweifache Familienvater nur schwer sprechen, ist auf einem Auge blind und dienstunfähig. Die Täter wurden zu Haftstrafen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren verurteilt.

Bereitschaft zur Kommunikation wächst

Um den Ursachen der Gewalt von Fußballfans nachzugehen, ihr vorzubeugen und den Opfern zu helfen, gründeten der DFB, der Weltfußballverband Fifa, der europäische Fußballverband Uefa, die Fédération Française de Football (FFF) und der DFB-Sportförderverein daraufhin im Oktober 2000 die Daniel-Nivel-Stiftung. Und die Arbeit scheint Früchte zu tragen. 2009 fand in Zusammenarbeit mit dem DFB die erste Zukunftswerkstatt „Fans und Polizei – Abbau der Feindbilder“ in Frankfurt am Main statt. Fans, Fanbeauftragte, Fansozialarbeiter und Vertreter der Polizei des Bundes und der Länder trafen sich auf „neutralem“ Boden und begegneten sich auf Augenhöhe. Im November folgte ein Treffen in Hamburg, im Januar 2016 in Nürnberg. Dabei ist allein die Tatsache bemerkenswert, dass Vertreter aller Konfliktparteien bereit sind, sich auszutauschen. „Wir befinden uns momentan in einer brisanten Entwicklungsphase der deutschen Fanszene“, sagt Professor Doktor Gunter A. Pilz, Leiter der Arbeitsgruppe „Aktivitäten und Projekte“ der Daniel-Nivel-Stiftung. „Gewalt führt zu Gegengewalt, und ich habe das Gefühl, dass sich dieser banalen Erkenntnisse die Konfliktparteien immer mehr bewusst werden und dass die Bereitschaft zur Kommunikation wächst.“

Schärfere Gesetze wären der falsche Weg

Kommunikation ist das Stichwort, um das sich alles dreht. Denn während der Zukunftswerkstätten wurde klar, dass sowohl Fans als auch Polizei sich gegenseitig vor allem mangelnde Dialogbereitschaft vorwerfen. Genau an diesem Punkt setzt die Zukunftswerkstatt an. Die Projekttage bestehen aus drei Phasen. Am Anfang steht die Kritikphase. Hier sollen die Teilnehmer negative Erfahrungen schildern und offen aussprechen, was ihrer Meinung nach schiefläuft oder Angst auslöst. Die Ergebnisse fließen in die Phantasiephase ein. Die zuvor geäußerten Kritikpunkte bilden dabei die Grundlage dafür, wie eine Lösung des Problems oder eine Veränderung der Situation aussehen könnte. Es gilt das Motto „Alles ist erlaubt, alles ist machbar“. Auch scheinbar unrealistische Ideen dürfen und sollen angesprochen werden, um zu verhindern, dass mögliche Lösungsansätze von vornherein außer Acht gelassen werden.

Danach folgt die Realisierungsphase. Die gesammelten Entwürfe, wie Polizei und Fans in Zukunft miteinander umgehen sollten, werden nun wieder auf eine realistische Ebene zurückgeholt, sodass sie praxistauglich werden. Ein vorläufiger Realisierungsplan hält Schritte zur Umsetzung fest, unter anderem was wo getan werden soll, wie und mit wessen Hilfe sowie den Zeitpunkt des Beginns. Gunter A. Pilz fasst zusammen: „Die Zukunftswerkstätten haben gezeigt, dass wir weder schärfere Gesetze noch mehr Polizei bei Fußballspielen brauchen, sondern mehr Transparenz und vor allem mehr Kommunikation.“ Auch die Teilnehmer äußern sich positiv. So zeigte sich ein „Ultra“ überrascht: „Ich war anfangs sehr skeptisch, weil es bei uns bisher gar keine Kommunikation mit der Polizei gibt. Und hier konnte man mit 15 Polizisten reden.“ Ein Einsatzleiter der Polizei urteilte über die Zukunftswerkstatt: „Hochinteressant! Ich habe gelernt, dass der Sport an sich nicht im Vordergrund steht. Es gibt noch viel mehr, was für die Fans und Ultras ihr Fußball-Leben ausmacht.“ Auch ein Fanbeauftragter sagte anschließend, dass er jetzt ein wenig mehr Hintergrundwissen habe, warum die Polizei so oder so reagiert.

Von der Theorie zur Praxis

Nun geht es darum, die Ergebnisse heraus aus dem geschützten Raum der Zukunftswerkstatt hinein in die Fanszene zu transportieren. Kein leichtes Vorhaben, dessen sind sich alle Teilnehmer bewusst. Vor allem von Seiten der Fans sind die Vorbehalte nach wie vor groß. Doch zumindest die Erkenntnis, dass man einen Schritt auf den anderen zu machen muss, ist vorhanden. So sagte der Fanbeauftragte nämlich auch: „Ich habe gelernt, man kann mit der Polizei sprechen. Man muss es nur wollen.“

www.dfb.de/daniel-nivel-stiftung

Foto: Tobias Wölki für die Daniel-Nivel-Stiftung

Zurück

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Mehr praktische Tipps und Ideen rund ums Spenden für Vereine, Organisationen und Stiftungen gibt es im gedruckten Heft. Das Magazin ist nicht am Kiosk erhältlich, nur exklusiv beim Verlag.
Hier geht's zur Bestellung.

Weitere informative Artikel zum Thema finden Sie hier.

Um die Nutzung unserer Website zu erleichtern, verwenden wir „Cookies“ und die Analyse-Software „Matomo“ (ehemals Piwik). Unsere Website verwendet auch „Cookies von Drittanbietern“, um Funktionen für soziale Medien anbieten zu können. Mehr dazu ...