Sind Non-Profit-Organisationen bald obsolet?

Portrait Joana Breidenbach vom Betteplace labtogether / Gregor Fischer

Joana Breidenbach gründet 2007 die Plattform betterplace.org und baute 2010, das betterplace lab auf. Die Kulturanthropologin beschäftigt sich von Herzen gerne mit digital-sozialen Innovationen und hat ein besonderes Interesse am Verhältnis von Bewusstsein und Technologie. Im Interview mit unserem Autor Paul Stadelhofer schildert die Sozialunternehmerin ihre Recherchen zu Trends im Online-Fundraising und zum Wandel von Non-Profit-Organisationen im 21. Jahrhundert.

Digitale Lösungen für Soziales

Warum braucht es digitale Lösungen für Soziales?
Wir sehen, dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche verändert und wir beginnen gerade erst wahrzunehmen, dass zivilgesellschaftliches Engagement digitale Lösungen braucht. Beim Spenden, in der Kommunikation und in der Projektentwicklung können wir dadurch wesentlich effektiver und manchmal auch effizienter operieren.

Welche Trends beobachten Sie im Online-Fundraising?
Wir sehen beim Online-Fundraising, dass viel mehr kleine und mittelgroße Organisationen Sichtbarkeit erhalten und online ihre Spender ansprechen. Wir sehen eine größere Vielfalt von Projekten, die sichtbar werden und um Unterstützung bitten. Wir sehen, dass viel mehr Menschen helfen und aktiv werden. Alleine schon deshalb, weil es im Internet niedrigschwellig ist. Ich finde es faszinierend, wie Menschen Teil haben können und jenseits vom Geld Projekte unterstützen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Mein Lieblingsbeispiel stammt aus einem Katastrophenfall: Die Digital Humanitarians sind eine Gruppe von Menschen weltweit, die in über hundert Staaten aktiv sind. Die tragen sich auf einer Liste ein und werden im Katastrophenfall angeschrieben, um Satellitenfotos zu durchforsten und um zu taggen, wo sie Schäden sehen. Riesige Gebiete werden von der Crowd dezentral überwacht, die Helfern vor Ort dann sagt, wo Straßen oder Häuser demoliert sind. Ich sitze manchmal am Wochenende im Pyjama für eine Stunde am Schreibtisch und mache da mit. Man braucht überhaupt keine Technik-Kenntnisse und erzielt eine Wirkung am anderen Ende der Welt.

Bewusstsein, Identität und Technologie

Sie beobachten also die Globalisierung im sozialen Bereich?
Wir wissen alle, dass der Nationalstaat ein Konstrukt ist, genau so wie früher die Stämme oder Ethnien Konstrukte waren, mit denen wir uns identifiziert haben. Wir stehen an der Schwelle dazu, dass immer mehr Menschen ein neues Weltbild entwickeln und ich glaube, dass uns die digitalen Technologien ermöglichen, dieses Weltbild zu leben. Durch die Digitalisierung werden wir uns erstmals bewusst, wie viel gleichzeitig geschieht, wie die Verbindungen zwischen einzelnen Regionen und Themen sind und wie wir aktiv werden können. Ich glaube Bewusstsein, Identität und Technologie sind wechselseitig verbunden. Viele globale Probleme können auch nicht nur an einem Ort angegangen werden und dafür ist das Internet eine sinnvolle Technologie.

Beobachten sie auch einen Wandel in der Kultur des Gebens?
Ich denke, das Geben ist ein natürlicher und universeller Reflex. Menschen sind prosoziale Wesen und wir alle identifizieren uns über die sozialen Beziehungen, die wir eingehen.
Deswegen existiert auch der Akt des Gebens, sei es in der Form von Gastfreundschaft oder indem ich bei Problemen Unterstützung, Zeit, Rat oder Geld gebe.

Nimmt die Spendenbereitschaft generell zu?
Nur ein Drittel der Bevölkerung spendet. Das ist nicht viel, wenn man immer hört, die Deutschen seien sehr generös. Wie bringen wir die Menschen dazu, dass sie öfter und für bessere Projekte spenden? Das ist die Königsdiziplin. Da sind das Internet und die Mobiltechnologie natürliche Verbündete. Der Durchschnittsspender ist auf betterplace nur 38 Jahre alt und das ist im Vergleich zum nationalen Durchschnitt doch sehr jung. Junge Menschen werden auch ganz selbstverständlich aktiv für Projekte, die ihnen am Herzen liegen. Die werden, aber nicht mit den Johannitern an ihrer Haustür einen Jahresvertrag abschließen und Jahre lang laufen lassen, weil sie vergessen, dass sie das gemacht haben.

Sondern?
Die haben andere Engagementformen. Beispielsweise geht jemand auf eine Tracking-Tour im Himalaya, sieht ein Projekt in Nepal gesehen und stellt fest, dass Bücher fehlen. Der postet dann Online ein Projekt und bietet zum Beispiel an, sich so lange den Bart wachsen zu lassen, wie 50 Euro pro Monat gespendet werden. Es entstehen alle möglichen Unterhaltungsformate, die ich per se gut finde. Manche sagen das sei eine Ökonomie der Eitelkeit und dass viele nur ihr Social Media Profil aufwerten wollen. Mir ist zwar nicht egal, warum Menschen geben, aber ich finde es gut, dass es immer mehr Engagement-Möglichkeiten gibt.

Digitaltechnik als disruptive Innovation

Wohin geht also der Trend im Online-Fundraising?
Ich glaube wir befinden uns an einem ganz bestimmten Wendepunkt im Zyklus dieser Entwicklung. Es gibt einen Trend dazu, dass die Leute nachhaltig helfen. Der Trend wird auch im Online Fundraising zur Mehrfach-Spenden-Funktion gehen. Natürlich versuchen auch immer mehr Organisationen, dass sie die Menschen online so binden, dass sie häufiger spenden. Ich persönlich habe ein paar Spendenabos laufen. Ein paar Organisationen, die ich gut finde, unterstütze ich also regelmäßig. Ich finde deren Arbeit gut und will spenden, will aber nicht jeden Monat erneut daran denken müssen.

Dauerspender als neue Chance im Online-Fundraising?
Auf der einen Seite glaube ich: Viele von denen, die heute vielleicht einmalig spenden, könnten zu Dauerspendern konvertiert werden. Auf der anderen Seite glaube ich auch, dass die Mittler heute mehr als früher ihren Wert darstellen müssen. Wenn ich eine große Hilfsorganisation unterstützt habe, die ganz viele lokale Projekte unterstützt, kann ich die lokalen Projekte und Individuen heute zum Teil schon alleine unterstützen und ich brauche die Organisation vielleicht bald gar nicht mehr.

Was bedeutet das für Fundraising-Organisationen? Digitaltechnik als disruptive Innovation?
Wir werden in der Arbeit von Non-Profit-Organisationen eine Ausdifferenzierung erleben. Bestimmte Themen können wir nur über eine Institution erreichen. Für Policy-changes braucht es natürlich weiter große Organisationen, weil sie zentralisiert angegangen werden. Teils sind die Themen auch nicht derart sexy, dass sich die Leute ständig neu begeistern lassen. Wenn ich aber eine Mutter oder ein Kind mit Schulgeld unterstützen will, brauche ich schon jetzt nicht mehr die Mittlerorganisation.

Ist das wirksam?
Spannend ist in Sachen Wirkung, was Give Directly als disruptive Institution im Fundraising macht. Die ermöglichen Direct Payments über Mobiltelefone und haben einige strenge Evaluationen hinter sich. Regionen, die einfach nur Cash kriegen und keine Bildungs-Programme oder ähnliches, erfahren laut Give Directly bessere Entwicklungen, als die Regionen, die in traditionelle Entwicklungsprogramme eingebunden werden. Es wird immer Bereiche  und Organisationen geben, die mit einer guten Haltung engagiert-gute Arbeit leisten. Die werden kein Problem haben aber In manchen Bereichen sind Non-Profit-Organisationen bald obsolet.

Digitale Anreize aus der Revolution

Sie waren zuletzt in Ägypten, wo sich die Sprengkraft der Digitalisierung mit der Entstehung des arabischen Frühlings entfalten konnte. Was haben Sie dort erlebt?
Was mich in Ägypten besonders fasziniert und bedrückt hat, war zu sehen, dass eine ganze Generation ermächtigt worden ist und eine extrem hohe Selbstwirksamkeit erfahren hat, in der Form, dass sie ein Regime stürzen kann. In einer Gesellschaft, die über Jahrzehnte gelähmt war und an totalitären Strukturen hing, ist das positiv. Was politisch daraus geworden ist, ist traurig und wir alle waren naiv zu glauben, dass man Jahrzehnte der Diktatur direkt in eine Demokratie überführen kann.

Welche Projekte haben Sie besonders begeistert?
Ich fand es spannend zu sehen, wenn Menschen die Erfahrungen aus der Revolution nun nutzen, um etwas Positives für die Gesellschaft zu tun. Eine Sozialunternehmerin hat beispielsweise eine Mitfahr-App entwickelt, um das Verkehrschaos in Kairo zu entschärfen. Andere haben eine App geschaffen, über die Frauen per SMS sexuelle Belästigungen melden konnten. So ist per Crowdsourcing eine interaktive Karte zur sexuellen Belästigung entstanden, mit der die Aktivisten die Politiker ansprechen konnten und sagten: „Ihr behauptet immer das passiert nicht aber wir haben im vergangenen Monat tausende SMS bekommen, die das Problem belegen.“

Haben Sie auch NGO-Projekte besucht?
Nafham ist eine fantastische Organisation, die zigtausende Lernvideos erstellt hat und den gesamten ägyptischen Lehrplan auf unterhaltsame Weise darstellt. Viele Kinder und Lehrer schauen sich diese Videos an, überbrücken den dysfunktionalen Schulunterricht oder bessern ihn auf. Es sind Innovationen, die wirklich auf soziale Probleme hinweisen und sie zu beseitigen versuchen.

Die Flüchtlingskrise als Chance?

Es gab also einen Schock von außen, der das Miteinander der Menschen so verändert hat, das ein neues Verständnis gemeinnützigen Engagements entstand?
Ja. Das Interessante ist dann natürlich auch, dass in vielen Ländern, die wir bereist haben, gemeinnützige Impulse gesetzt werden, ohne dass die Menschen eine NGO gründen. Die gründen ein For-Profit Unternehmen aber haben eine ganz klare soziale Zielrichtung im Kopf. Darin erkennen wir auch einen globalen Trend. In Ägypten gibt es beispielsweise auch einen neuen Blutspendedienst, der alleine über Facebook funktioniert. Früher hat man bei Unfällen oft im Freundeskreis oder unter Familienmitgliedern versucht, jemanden zur Blutspende mit ins Krankenhaus zu schleppen. Ein Sozialunternehmer hat dann angefangen, Leute über Facebook zu matchen. Das sind einfache Dinge, basierend auf Technologien, die nicht neu entwickelt werden mussten, sondern bestehende Social Media Plattformen nutzen. Das begeistert mich, wenn ich sehe wie viele Innovationen in Deutschland eigentlich redundant und schwachsinnig sind.

Sehen Sie in Deutschland eine ähnliche Entwicklung, beispielsweise angesichts der Flüchtlingskrise?
Ich glaube hier passiert Ähnliches und ich glaube wir sind wirklich im 21. Jahrhundert angekommen. Ich bin fasziniert davon, welche digitalen Hilfsmittel wir in der Flüchltingskrise in Deutschland entwickeln. Digitale Medien können viele Sachen gut: Aufklären, mobilisieren und vernetzen. Für vieles braucht es aber auch den persönlichen Kontakt. Es ist dennoch eine nachhaltige Erfahrung, die wir durchleben und ich glaube, dass wir die digitalen Medien auf unsere Weise neu zu schätzen lernen werden.

(Foto: Gregor Fischer)

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