„Ich musste mich einfach einmischen“

Monika Hauser

Vor zwanzig Jahren ist Monika Hauser auf eigene Faust ins Kriegsgebiet nach Bosnien gefahren, um sich als junge Gynäkologin für die Opfer sexualisierter Gewalt stark zu machen. Damals wurde sie von vielen verrückt genannt, heute leitet sie eine Organisation mit über 40 Mitarbeiterinnen in Köln und mehr als 300 weltweit. Im Mai dieses Jahres erhielt sie den Nord-Süd Preis des Europarats 2012. Im Interview mit unserem Autor Paul Stadelhofer erklärt sie, warum sie vor zwanzig Jahren in das Kriegsgebiet im heutigen Bosnien-Herzegowina fuhr und wie es ihr gelang die Frauenrechts-Organisation medica mondiale aufzubauen. Außerdem gibt sie Tipps für alle, die selbst ein solches Projekt gründen wollen.

Sie reisten vor zwanzig Jahren nach Bosnien und legten damit den Grundstein für die heutige Organisation medica mondiale. Was hat Sie dazu bewegt?

Ich frage normalerweise auf diese Frage zurück: Wie konnte man damals nicht anfangen etwas zu tun für die bosnischen Frauen? Ich habe als angehende Gynäkologin mit dem Thema sexualisierter Gewalt schon in Deutschland und Südtirol zu tun gehabt, und als ich dann in Medienberichten sah, was mit den Frauen in Bosnien passiert, war mir klar, dass diese Frauen eine solidarische und auf sie ausgerichtete Unterstützung brauchen. Es gab diese Unterstützung nicht und auch die Hilfsorganisationen planten nicht, tätig zu werden. Also musste ich mich einmischen, damit Hilfsangebote für diese Frauen aufgebaut werden.

Sie sind also auf eigene Faust von Deutschland aus in den Krieg gefahren?

Über Zagreb und andere Umwege bin ich in den letzten Dezembertagen 1992 in die Stadt Zenica gefahren, um etwas auf die Beine zu stellen. Ich habe dort zwanzig sehr motivierte bosnische Fachfrauen gefunden, die bereit waren, mit mir ein interdisziplinäres Therapiezentrum aufzubauen.

Haben Sie dann auch die ersten Spenden für das Projekt vor Ort gesammelt?

In Zenica natürlich nicht, denn da war ja Krieg. Als ich dort angefangen habe, gab es aber eine kleine Gruppe von Unterstützern und Unterstützerinnen hier in Nordrhein-Westfalen. Das waren Freundinnen und Kolleginnen von mir. Außerdem hatte die ZDF-Sendung Mona Lisa damals zu Spenden aufgerufen und eine Millionen Mark zusammengesammelt. Aus dem Mona-Lisa-Hilfsfonds bekam ich sehr schnell und unbürokratisch eine Viertel Million Mark. Von diesem Geld habe ich nach meiner Rückkehr im Februar 1993 alles Nötige eingekauft. Anfang März 1993 bin ich dann mit zwanzig Tonnen an Gütern nach Bosnien gefahren, mit allem was man braucht, um eine Klinik und die therapeutischen Räume aufzubauen. Die eigentlichen Spendengelder flossen aber erst zum Ende des Jahres – auch dank meiner Wahl zur Frau des Jahres in den ARD-Tagesthemen.

Mittlerweile ist medica mondiale eine Organisation mit über 300 Mitarbeiterinnen und Projekten in aller Welt. Wie hat sich Ihre eigene Arbeit damit gewandelt?

Am Anfang war ich der Motor für das Projekt in Bosnien und ich habe dort auch als Gynäkologin gearbeitet. Nun bin ich politische Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied. Ich mache auch viel Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Ich spreche auch auf Konferenzen weltweit über die Arbeit von medica mondiale und über die Hintergründe sexualisierter Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten. Auch reise ich immer wieder in die Projekte vor Ort. Beispielsweise war ich Anfang Mai in Kabul, um mit Kolleginnen dort über ihre Arbeit zu sprechen. Darüber wie Frauen angesprochen werden können, wie wichtig es ist, die Arbeit ganzheitlich zu gestalten und welche Belastung das für uns selbst bedeutet.

Ist es überhaupt möglich für ein sensibles Thema wie sexualisierte Gewalt Aufmerksamkeit zu schaffen? Mit welchen Instrumenten waren sie bislang am erfolgreichsten?

Wir befinden uns sicher auf einer Gratwanderung mit dem Thema. Wir wollen die Dinge einerseits mit klaren Worten benennen, auf der anderen Seite aber keine neuen Verletzungen verursachen. Sexualisierte Gewalt spielt sich nämlich nicht nur in Afghanistan oder in der DR Kongo ab. Viele Frauen haben auch in Deutschland Gewalt und Vergewaltigung überlebt, zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg – aber auch in heutigen Friedenszeiten erleiden nach wie vor sehr viele Frauen und Mädchen sexualisierte und weitere Gewalt. Für sie besteht eine Retraumatisierungs- und eine erneute Verletzungsgefahr, wenn sie darüber lesen.

Deswegen ist Solidarität die Grundlage für unser feministisches Engagement. Wir betonen die Stärke der Überlebenden und benennen auch die Verbindung von Kriegsverbrechen zu sexualisierter Gewalt im Frieden. Diese Klarheit und Enttabuisierung schätzen viele Frauen und Mädchen – wobei natürlich ältere Frauen eher zu unseren Spenderinnen gehören und uns teils auch schon seit zwanzig Jahren treu sind.

In den ersten Jahren waren die Kriegsverbrechen in Bosnien auch in aller Munde und durch die Berichterstattung in den Medien haben die Menschen auch über uns erfahren. In den späteren Jahren haben wir unser Fundraising und unsere Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert. Mailings sind heute unser wichtigstes Instrument; auch durch Vorträge, Veranstaltungen und das Internet sind wir in Kontakt mit bestehenden oder potenziellen Spenderinnen.

Worauf konzentrieren Sie sich im Moment in Ihrer Arbeit?

Unsere Philosophie ist, dass die Projekte selbstständige Organisationen werden. Das ist uns im Balkan und – worauf ich sehr stolz bin – auch mit dem Projekt in Afghanistan gelungen, wo die 70 afghanischen Kolleginnen ihre Arbeit mittlerweile selbst organisieren. Wir sind trotzdem noch in sehr engem Austausch und gerade jetzt beschäftigt uns auch die Situation der Frauen in Afghanistan sehr. Die zunehmende Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage dort war absehbar und tritt nun ein. Mit diesem Fokus machen wir also Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zusammen mit den afghanischen Kolleginnen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau eines Projektes in Liberia, wo es in den nächsten Jahren ansteht, den Schlüssel zu übergeben. Bis dahin gilt es die Kolleginnen so zu schulen, dass sie ihre eigene Organisation leiten können. Das heißt dass sie das Management inklusive Personalführung und Buchführung lernen, dass sie Netzwerke bilden, Lobbyarbeit machen. Dabei unterstützen wir sie.

Es war von Anfang an so, dass wir überall – selbst in schwierigen Regionen – einheimische Frauen gefunden haben, die mit uns Projekte für Betroffene aufbauen. Wir möchten, dass noch viel mehr Frauen von unserer Erfahrung in der Arbeit mit traumatisierten Frauen profitieren. Und dass die Kolleginnen vor Ort selbst nicht ausbrennen, sondern sich gute Bedingungen für ihre anspruchsvolle und manchmal auch gefährliche Aufgabe schaffen.

Haben Sie einen Tipp für die Leute, die ein Projekt aufbauen wollen, das sich auch in zwanzig Jahren noch hält?

Vor zwanzig Jahren wurde ich für verrückt erklärt, weil ich mich ohne große Organisation in der Hinterhand ins Kriegsgebiet gewagt habe. Wenn man aber einen klaren Ruf in sich spürt, dann muss man diese Aufgabe angehen – auch gegen die Meinung derer, die sagen „Das geht doch nicht.“ Es geht sehr wohl und das möchte ich auch immer wieder aufzeigen: Ich habe mich als Einzelne auf den Weg gemacht und viele Weitere haben sich angeschlossen. Dann ist elementar eine große Frustrationstoleranz. Uns begegnen täglich Widerstände, denen wir nur mit Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit begegnen können. Speziell unser Thema wollen viele nicht hören. Es ist grundlegend, bei sich zu bleiben, glaubwürdig zu sein und die eigenen Anliegen und Ziele konsequent zu verfolgen. Dann finden sich auch Mitstreiterinnen– davon bin ich überzeugt .

Foto: Elissa Bogos-medica mondiale

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