Erwin Stahl: Wir investieren in sozialen Nutzen!

Porträt Erwin Stahl

Social Business, Venture Philanthropy und Impact Investments. Erwin Stahl ist seit Jahren an vorderster Front bei diesen Themen. Der Geschäftsführer der BonVenture Management GmbH hat bereits etliche Millionen Euro in soziale Unternehmen investiert. Im Interview mit unserem Autor Paul Stadelhofer erklärt Stahl seine Perspektive auf das Business und welche Projekte er gerne fördert. Er ist einer der Speaker bei der Jahreskonferenz der European Venture Philanthropy Association am 17. und 18. November in Berlin.

Sie sind selbst eher Investor als Spender. Was ist der Unterschied zwischen einem Spender und einem Impact Investor?
Der Unterschied ist, dass der Spender seinen Einsatz in der Regel nicht zurück bekommt. Der Investor bekommt zumindest seine Einlage oder auch eine kleine Verzinsung zurück. Bei der Spende, ähnlich wie beim Investment, ist der Empfänger zuvor einer Prüfung zu unterziehen. Das ist also in beiden Fällen gleich. Bei Investments muss ich mir im Gegensatz zur Spende aber auch Gedanken machen, wie ich aus der Geschichte wieder herauskomme. Ich muss also den Exit betrachten und überlegen, wie ich das Investment zurück bekomme.

Welche Anforderungen stellen Sie also an Unternehmer und Projekte, die Sie um Investments bitten?
Die wichtigste Anforderung ist sicherlich ein motivierter Sozialunternehmer, der ein gesellschaftliches oder ökologisches Problem lösen oder reduzieren möchte. Für uns ist es wichtig, dass er die Planung nicht nur effizient und finanziell nachhaltig gestaltet, sondern eben auch eine entsprechende soziale Wirkung in einer Wirkungskette darstellen und den zu erreichenden Nutzen planen sowie realisieren kann.
Einfach gesagt: Es geht darum, einen sozialen Nutzen mit einem finanziell nachhaltigen sozialen Geschäftsmodell zu erreichen und das, wenn möglich, auch in einem Business Plan ausdrücken zu können. Wenn das klappt, investieren wir in der Regel pro Projekt zwischen 500.000 und 800.000 Euro aus unseren Fonds.

Sie hatten im vergangenen Jahr bereits mit dem zweiten Fonds, den sie über BonVenture geschaffen hatten, 10,5 Millionen Euro zur Verfügung. Wo liegt Ihr derzeitiger Arbeits-Schwerpunkt?
Wir werden bis Jahresende circa 70 bis 75 Prozent der Mittel investieren. Die Schwerpunkte, die wir haben, umfassen den sozialen Bereich, das heißt also Projekte im Bereich Bildung, Jugend und gehandicapte Mitmenschen. Das sind die groben Themen, wobei wir nicht wirklich ein Thema ausschließen. Für uns ist der gesamte gesellschaftliche und ökologische Bereich interessant.

Wie stellen Sie sich den perfekten Partner für ein Investment vor und wie sieht Ihre Finanzierung genau aus?
Der perfekte Partner ist der, der tatsächlich mit einer starken Motivation ein Problem lösen möchte und der einen innovativen Ansatz dafür hat. Wie wir konkret finanzieren, hängt in der Regel von der rechtlichen Struktur der Organisation ab, welche von dem Social Entrepreneur geleitet wird.
Da gibt es drei Möglichkeiten: Das eine sind reine Non-Profit-Unternehmen, die wir in der Regel nur mit Darlehen finanzieren können. Dann gibt es hybride Unternehmen, die aus einer Non-Profit-Einheit und einer For-Profit-Einheit bestehen und die häufig in einer Mutter-Tochter-Beziehung stehen oder über einen Kooperationsvertrag verbunden sind. Die finanzieren wir in der Regel mit Darlehen oder Mezzanin- (Anm. d. Red.: Mischung aus Eigen- und Fremdkapital) oder Eigenkapital. In diesem Hybrid-Bereich habe ich die höchste Flexibilität. Zuletzt gibt es noch die reinen For-Profit-Unternehmen, die auch die Lösung eines sozialen Problems im Vordergrund haben, allerdings profitorientiert betrieben werden. Wir versuchen für jedes Projekt eine individuelle Finanzierung zu erstellen und mit den Gründern ein System zu entwickeln, das am besten geeignet ist.

Sie stellen also nicht lediglich Kapital zur Verfügung, sondern Sie beteiligen sich auch an den Projekten.
Ja. Wir stellen neben dem Kapital auch unser Netzwerk zur Verfügung, die Verbindung zu anderen Sozialunternehmen, Beratung und Hilfe in bestimmten Bereichen. Wo wir in der Regel nicht helfen können, ist in der operativen Arbeit und in den einzelnen Prozessen. Wir können sicherlich auch nicht so wie ein Gründer selbst auf ein soziales Problem eingehen.
Betriebswirtschaftliche Tools umzusetzen, Prozesse aufzusetzen, Organisationen zu strukturieren: Da können wir unterstützen und das machen wir auch. Wir übernehmen in der Regel auch ein Aufsichtsratsmandat, um an dem Projekt dran zu sein.

Was nutzt die Einbindung in Projekte für Investoren oder Intermediäre?
Der Investor eines Fonds kann normalerweise nicht auf die Portfolio-Projekte zugreifen. Was wir ermöglichen und regelmäßig organisieren, sind Treffen, Investorentage, Site-Visits und Ähnliches, sodass wir einen direkten Austausch zwischen den beiden Parteien haben. Das ist die eine Funktion.
Für uns als Investor oder Intermediär, der mit einem Fonds direkt in ein Projekt investiert, ist die Nähe wichtig, um den Austausch zu haben und nicht nur als Geldgeber zu fungieren, sondern den Leuten auch tatsächlich helfen zu können. Helfen kann ich nur dann, wenn ich mit jemandem spreche und tatsächlich in Verbindung bin. Das macht bei uns in der Regel der Investment-Manager.

Sie haben 2003 Ihren ersten Fonds eingerichtet. Was konnten Sie seitdem mit Ihrer Arbeit erreichen?
Wir haben gezeigt, dass es funktionieren kann! Wir haben gezeigt, dass es Sozialunternehmer gibt, in die investiert werden kann. Wir haben gezeigt, dass man eine Struktur als Intermediär aufsetzen kann, um die nötigen Finanzmittel für soziale Projekte zur Verfügung zu stellen.
Sie müssen eins sehen: Wenn sie als gemeinnützige Organisation ohne Sicherheiten bei einer Bank Geld suchen, kriegen Sie keins. Es gab vor uns auch nicht die Möglichkeit, für einen Verein oder eine gemeinnützige GmbH tatsächlich Geld aufzunehmen. Wir füllen also eine Lücke aus, die sich zunehmend ausbreitet. Sie hat sowohl auf der Stiftungsseite, über die Venture Philanthropy, Auswirkungen als auch für den klassischen For-Profit-Investment-Markt. Das heißt: Die Szenerie entwickelt sich und ich denke, wir konnten dazu maßgeblich beitragen. Wir sind schon dadurch ein Pionier, dass wir den ersten Fonds aufgelegt haben und dadurch, dass wir der erste registrierte Sozialfonds-Manager in Europa waren, dadurch, dass wir in den ersten Social-Impact-Bond in Deutschland investiert haben und vieles mehr.
Auch der erste Mission-related-Investing-Fonds, den wir derzeit für Stiftungen machen, ist ein Beispiel. Wir haben es erreicht, immer ein Frontrunner zu sein und mitzuhelfen, dass sich der Markt entwickelt.

Sie setzen dabei auf mehrdimensionale Investitionen. Können Sie am Beispiel des Mission-related-Investment-Fonds, den Sie derzeit mit dem Bundesverband deutscher Stiftungen aufsetzen, erklären, was Sie unter mehrdimensionalen Investitionen verstehen?
Eine mehrdimensionale Investition ist für mich das einzig Richtige. Dabei geht es darum, dass ich nicht mehr nur die finanzielle Rendite beachte, die eine bestimmte Mindestgröße erreichen sollte, sondern dass ich zugleich auch einen Social Impact berücksichtige und diesen anhand einer Wirkungskette beschreiben kann und dass ich im Idealfall mit sogenannten Key-Performance-Indikatoren diesem Impact auch einen Wert geben kann.
Sozialer Impact ist in der Regel subjektiv und basiert auf dem ethisch-moralischen Grundverständnis eines jeden Einzelnen. Letztendlich bedeutet mehrdimensionale Investition immer die Berücksichtigung vieler Aspekte und insbesondere die Berücksichtigung eines sozialen Nutzens.

Und das wollen Sie nun auch für Stiftungen leichter machen?
Was wir mit den Stiftungen machen, ist mit diesem Pilotfonds nicht nur finanzielle Rendite zu bieten für die investierenden Stiftungen, sondern nebenher auch einen sozialen Nutzen zu erzeugen, der mit dem Stiftungszweck einhergeht. So sollen die Stiftungen mit einem Engagement aus dem Grundstockvermögen zugleich auch ihren Stiftungszweck und ihre Mission erfüllen können.

Sie arbeiten momentan auch am Fundraising für den dritten Fonds, mit dem soziale Unternehmen gefördert werden.
Wir sind in den Endzügen, die Unterlagen für diesen dritten Fonds fertigzustellen. Er wird ein bisschen anders sein als die ersten beiden, weil wir auch institutionellen Investoren und Stiftungen die Möglichkeit eines Investments eröffnen wollen, nicht nur Privatinvestoren und Familien, wie in den ersten beiden Fonds.

Wie hat das bislang funktioniert?
Wir sind mit den jeweiligen Institutionen und unseren Altinvestoren bereits in fortgeschrittenen Gesprächen und werden diese voraussichtlich bis Ende des Jahres beendet haben. Wir hoffen, alle bisherigen Investoren wieder gewinnen zu können und werden ab Anfang nächsten Jahres auch auf neue Investoren zugehen.
Wir versuchen mit einem eher ausgewählten Kreis, weil das Mindestinvestment bei 200.000 Euro liegt, unsere Zielgröße von 15 bis 20 Millionen Euro zu erreichen. Wir versuchen im nächsten Jahr, nachdem wir ein erstes Closing Anfang des Jahres machen wollen, bis Ende des Jahres auf diese Zielgröße zu kommen.

Sie werden im November bei der Jahreskonferenz der European Venture Philanthropy Association in Berlin auch diskutieren, wie das Klima für Venture Philanthropy im deutschsprachigen Raum ist. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ich glaube, dass es genügend gute Projekte gibt, die ein soziales Problem reduzieren wollen und können. Ich glaube, dass es aber zu wenig Kapital für diese Organisationen gibt. Kapital, das speziell für solche Zwecke zur Verfügung gestellt wird. Meines Erachtens liegt es daran, dass es noch zu wenige Dienstleister und Intermediäre gibt, dass also die Infrastruktur noch nicht so optimal ist, wie sie sein könnte. Ich würde mir wünschen, dass auch von staatlicher Seite mehr Unterstützung bereitgestellt wird, um diese Unterstützung zu schaffen, weil ich glaube, dass die Nachfrage enorm ist und auch im gesamten Bereich Impact Investment deutlich steigen wird.

Bei der EVPA-Konferenz behandeln Sie auch das Lernen aus Fehlern. Welche Fehler konnten Sie in ihrer bisherigen Arbeit beobachten und was haben Sie gelernt?
Wir hatten ein Projekt, in dem sich das Geschäftsmodell zweimal gedreht hat und wo wir letztlich nur noch in einem Teilbereich Social Impact erzeugen. Für uns eigentlich ein Fehler, allerdings sind wir – weil wir das Kapital der Investoren erhalten wollen – glücklich, dass es ganz gut überlebt hat. Der soziale Nutzen ist also nur zum Teil eingetreten, allerdings ist der finanzielle Erfolg durch das zweimalige Abändern des Geschäftsmodells gesichert geblieben. Die Frage ist dabei: Was tue ich, wenn ich vor der Wahl stehe, ein Projekt zu beenden oder tatsächlich auf den sozialen Impact zu verzichten, um die Existenz des Unternehmens nicht zu gefährden? Das Learning: In eine solche Situation kann man immer wieder kommen und die Entscheidung muss ich immer subjektiv treffen. Natürlich kann es auch existenzgefährdend sein, wenn man nicht flexibel ist. Deswegen muss ich die Entscheidung vorab treffen, ob der Social Impact für das Überleben eines Unternehmens zentral oder entbehrlich ist. Das ist schwierig.
Der zweite Fehler war in einem österreichischen Projekt. Da haben wir gemeinsam mit einem Inkubator investiert und es hat sich herausgestellt, dass die Technologie nicht so einfach funktioniert hat, wie sie dargestellt wurde. Wir hatten auch einen zweimaligen Wechsel beim Geschäftsführer und die Mehrheit der Anteile wurde von dem Inkubator gehalten. Der war leider nicht bereit, weiter zu investieren, sodass es uns nicht möglich war, das Konzept weiter zu verfolgen, was eine Insolvenz zur Folge hatte. Das Learning daraus: Ich würde nicht mehr ein Projekt unterstützen oder finanzieren, bei dem die Mehrheit der Anteile bei einem Inkubator liegt oder bei dem das Social Entrepreneurship nicht klar herausgearbeitet werden kann. Deswegen der sehr starke Fokus unsererseits auf den Social Entrepreneur und dessen Motivation. Man kann sich immer wieder täuschen, aber das ist für uns die zentrale Größe.
Ein drittes Thema ist für mich der „Kanibalisierungs-Effekt“ bei Non-Profits. Wenn ich ein Darlehen vergebe und ich letztendlich mit meiner Arbeit und meinem Geld die Organisation so weit bringe, dass sie nach außen hin gut dasteht, kann das problematisch sein. Wenn die Organisation dann nämlich nicht mehr auf mein Darlehen angewiesen ist, muss ich mir überlegen, was ich mit ihr mache.

Vita
Dr. Erwin Stahl hat mehr als 18 Jahre Erfahrung im Bereich Venture Capital und Investitionen bzw. Engagements in Start-up Gesellschaften und Organisationen. Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität Regensburg und promovierte 1995 in Wirtschaftswissenschaften. Dr. Stahl war ab 1995 zunächst mehrere Jahre Projektmanager bei der Wellington Partners Gruppe (Venture Capital Fonds). Danach war Dr. Stahl Gründer und Geschäftsführer der Upside Ventures GmbH (Beratung und Gründungsinvestitionen) und Berater der EU (5. Rahmenprogramm). Er ist seit 2003 Geschäftsführer der BonVenture Management GmbH / BonVenture gGmbH (Venture Philanthropy und Social Venture Capital Fonds mit bisher mehr als 25 Investments; www.bonventure.de) und Aufsichtsrat bzw. Beirat verschiedener Start-up Firmen bzw. Organisationen.

Über die Annual Conference der European Venture Philanthropy Association
Am 17. und 18. November ist in Berlin die zehnte Jahreskonferenz der European Venture Philanthropy Assocation. Das diesjährige Thema der Konferenz lautet: "Collaborating for Social Impact: the next 10 years". Vertreter von Stiftungen sowie sozialen Unternehemn präsentieren dabei aktuelle Tendenzen und diskutieren die verschiedensten Facetten von Venture Philanthropy und von Impact Investments. Hier finden Sie einen Überblick über das Tagungsprogramm. Das Fundraiser Magazin begleitet die Tagung als Medienpartner.

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