Was bedeutet der Brexit für die NGOs?

Darum geht‘s: NGOs in England – gebeutelt von Brexit und Glaubwürdigkeitskrise

Die Fundraising Convention 2016 fand in diesem Jahr im Juli in Londons Architektur-Ensemble Barbican statt. Ein wunderbar gewählter Ort für ein Treffen der englischen Fundraiser und der Gäste aus aller Welt. Die Idee des Barbican war, dass es den Menschen hier in der durch Krieg und Umweltverschmutzung gebeutelten Stadt wieder besser gehen sollte.

Die Welt zu einem besseren Ort machen – das ist gewiss für die allermeisten NGOs ein erklärtes Ziel. Drei Tage sprechen wir über unterschiedliche Instrumente des Fundraisings, über Kampagnen, über aktuelle Entwicklungen und darüber, wie wichtig es ist, die Menschen mehr in die Arbeit der NGO einzubeziehen. Dies gilt sowohl für die Unterstützer als auch für die Menschen, denen der Zweck der Organisation dient.

Kritik nach Selbstmord

Sehr eindrücklich berichten die englischen Kollegen von ihrem Jahr 2015. Im Sommer hatte eine ältere Dame Selbstmord begangen. Zu Lebzeiten unterstützte Olive Cook großzügig mehrere Organisationen. Kurz vor ihrem Selbstmord sagte sie, sie könne einfach nicht mehr geben. In der Folge wurde eine Verbindung zwischen ihrem Tod und ihrer Hilfsbereitschaft hergestellt. Da sie neben Briefen auch eine Reihe von telefonischen Spendenbitten erhalten hatte, schien klar, dass die ältere Dame massiven Druck gefühlt haben musste. Die Medien berichteten empört und ausgiebig über diesen Fall. Schließlich meldete sich Premierminister David Cameron zu Wort und fragte, ob seitens der NGOs wirklich alles getan wurde, um Olive Cook nicht unter Druck zu setzen.

Vor diesem Hintergrund stehen die NGOs und hier vor allem die Arbeit der Fundraiser unter öffentlicher Beobachtung und dezidierter Kritik. Die Organisationen sind damit unterschiedlich umgegangen. Manche haben gehofft, dass der Sturm sie nicht erreichen wird und sind in Deckung gegangen – mehr oder weniger erfolgreich. Andere haben einen offensiven Weg eingeschlagen. Friends of the Earth – eine der größten Umweltorganisationen Englands – haben sich in einem Brief an ihre Unterstützer gewandt und den Dialog mit ihnen gesucht. Die Spender haben hierauf überwiegend positiv reagiert und der Organisation versichert, dass sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind und sie auch weiterhin unterstützen werden. Ein Bekenntnis, das ohne die Anfrage sicher niemals entstanden wäre.

Furcht vor Brexit und vor Wegfall der EU-Gelder

Die NGOs in England sind auch in diesem Jahr weiterhin damit beschäftigt, das Vertrauen der Menschen in ihre Arbeit wieder herzustellen. Keine einfache Aufgabe, angesichts des auch für die NGOs überraschenden Votums für einen Brexit. Zur öffentlichen Kritik an ihrer Arbeit kommt nun noch die Verunsicherung durch den Brexit hinzu. In Folge der Turbulenzen an den Finanzmärkten (fallendes Pfund, Wertverlust an den Immobilienmärkten) bangen die Kollegen nun noch mehr um ihre Einnahmen. Sie fragen sich, welchen Stellenwert sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen die Unterstützung von Organisationen in der momentanen Lage überhaupt haben kann. Selbst wenn die Menschen konkret nicht über deutlich weniger Mittel verfügen, wirkt sich die Verunsicherung im Lande gewiss negativ auf das Spendenverhalten aus – so jedenfalls die Befürchtung.

Wie ist es angesichts dieser Situation überhaupt möglich, die Arbeit einer NGO zu planen? Der Brexit hat so viele Fragen aufgeworfen, dass unter den Kollegen die Rat- und Hilflosigkeit deutlich zu spüren ist. Gibt es in absehbarer Zeit noch Mittel aus EU-Töpfen? Können diese dann fehlenden Mittel durch Mittel aus dem englischen Haushalt aufgefangen werden? Wie werden die Organisationen international arbeiten? Wird es mehr Armut in England geben? Wird die Spendenbereitschaft tatsächlich sinken? Gibt es Organisationen, die die aktuelle Gemengelage der allgemeinen Verunsicherung im Lande nicht überleben werden, da das Vertrauen in die NGOs aufgrund der Berichterstattung im Vorjahr sowieso auf einem historischen Tiefpunkt ist?

Brexit-Votum schien unmöglich

Die Kollegen in England sind sich darüber sehr bewusst, wie komplex die Situation ist. Sie blicken den Tatsachen ins Auge und versuchen Wege zu finden, das Vertrauen in den Dritten Sektor wieder zu stärken. Dabei hilft ihnen ganz gewiss, dass sie Profis für Kommunikation und Beziehungen sind. Angesichts dieser Krise ist allen klar, dass sie einerseits den Kontakt zu ihren Unterstützern intensivieren müssen und andererseits mehr auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen hören sollten, für die der Zweck ihrer Organisation bestimmt ist.

Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Brexit gehen die Kollegen offen mit sich ins Gericht. Sie fragen sich, wie es hat sein können, dass sie den Ausgang des Votums so falsch eingeschätzt haben. Immerhin sind sie diejenigen, die von sich behaupten, in Kontakt mit den Menschen zu stehen, die mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben: den Alten, den sozial Schwachen und den Menschen mit weniger formaler Bildung. Müssen sich die NGOs vielleicht doch den Vorwurf gefallen lassen, zur Elite des Landes zu gehören und nicht mehr zu wissen, was die Mehrheit der Menschen bewegt? Das Votum für den Brexit haben sie jedenfalls nicht für möglich gehalten.

Die Aufgabe der NGOs ist es nun, dabei zu helfen, das Land wieder zusammenzuführen. Darüber waren sich die Kollegen einig. Ebenso einig waren sie sich, dass dies eine verantwortungsvolle und komplexe Aufgabe ist. Unabhängig vom Thema Brexit wurde auf der Fundraising Convention von unterschiedlichen Rednern immer wieder betont, wie wichtig es ist, Veränderungen willkommen zu heißen und Situationen, die man nicht verändern kann anzunehmen. Mit dieser Einstellung werden die Kollegen die nötige Kraft für ihre Arbeit aufbringen und gewiss bald wieder hoffnungsvoll und zuversichtlich nach vorne blicken.

Photo credit: Rob Kennard /Institute of Fundraising

Portrait von Stephanie Neumann

Dr. Stephanie Neumann wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach Afrikawissenschaften promoviert und hat sich an der Fundraising Akademie zur Fundraising Managerin (FA) ausbilden lassen. Seit 2006 arbeitet sie im Fundraising für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). Sie verantwortet dort den Bereich Direktmarketing. Darüber hinaus hat sie in den vergangenen drei Jahren Fortbildungen zu Gewaltfreier Kommunikation (nach Marshall Rosenberg) besucht und sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Seit 2014 ist sie außerdem ehrenamtliche Richterin am Landgericht Berlin.
www.bund.net

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